MÜTTER
Das Konzept Mütter ist als solches nicht in
einer keltischen Quelle festzumachen, wohl aber aus einer Vielzahl von Themen zu
erschließen, nicht zuletzt auch aus bestimmten Benennungen. Mütterliche
Göttinnen sind weit verbreitet, z. B. Ana und Dana bzw. Don, der
Flussname
Marne geht auf Matrona zurück. Modron, ebenfalls auf Matrona oder auf Mater
zurückzuführen, ist eine zentrale Gestalt der kymrischen Überlieferung, Y
Mamau sind ebendort bestimmte Feen.
Das überlieferte Konzept umfasst verschiedene
Inbegriffe, die in dem Wort Mutter semantisch enthalten sind: Ursprung, Ahnen,
Fruchtbarkeit, Nährende, Mutterschaft, Neues Leben, Magische Macht,
Souveränität.
AHNENFIGUR
An verschiedenen - und vermutlich durch die
Art des Überkommens zufälligen - Stellen wird eine götterhafte Gestalt als
Ahnenfigur bezeichnet. Viele Aspekte von Ahnenfigur und Mutter (Mutter Erde)
vereinen sich bei Ana/Dana, weiter sind aber auch die männlichen Beli,
Lyr und
Nuada zu nennen. Vermutlich war die Ahnenvorstellung über diesen Personenkreis
hinaus verbreitet und hat zu späteren Zeiten, nach dem Wechsel von Matriarchat
zu Männerkultur, auch männliche Ahnen eingeführt. Sie stehen, so heißt es,
jeweils am Beginn von Dynastien. Zumindest im kymrischen, aber auch im irischen
Bereich wurde der Verweis auf die jeweiligen Ahnen als theokratische oder
traditionsgerechtfertigte Fundierung der jeweiligen Herrschaft verstanden und
benutzt. Dies ist ja auch aus anderen Kulturen und Mythologien bekannt.
Da wo die Rede von "Ältesten Wesen"
ist, etwa Fintan, da ist nicht ältestes Wesen überhaupt gemeint, sondern eben
der erste, der begründende Mensch, und als Primordialmenschen im Sinne von LeRoux/Gyonvarc'h
gehören sie zu den Ahnenfiguren.
Insgesamt beweist dies eine Vorstellung von
Ursprung und Geschichtlichkeit, also von Herkunft im Gegensatz zu Zukunft.
Zukunft wurde im Bereich der Anderwelt gesucht, Ursprung, Herkunft der eigenen
Person, des Geschlechts, des Volkes - dies ist eine Ausprägung des
Mutterhaften.
ÄLTESTE WESEN
In die gleiche Ursprungsrichtung wie die
Ahnenfiguren weist die verbreitete Vorstellung von Ältesten Wesen. Als solche
fungieren verschiedene Tiere, welche aus der umgebenden Natur, also nicht als
Haustiere, bekannt waren. Ihnen war eine gewisse Art von Unvergänglichkeit
eigen, die zeitlose Dauer von Natur oder vielleicht eher die ewige Wiederkehr
der Naturerscheinungen im jahreszeitlichen Wechsel. Zu diesen Tieren zählte man
den Lachs, die Kröte, den Kranich (als Wandelgestalt von Miadhach), der
Adler,
die Amsel, die Eule und der Hirsch. Hier schimmert die Erkenntnis hervor,
dass
in den Tieren bestimmte grundlegende Züge erhalten sind, die sich auch beim
Menschen finden, dort aber als archaisch, überwunden, unmenschlich gelten. Der
Mensch hat mit den Tieren gewisse Züge gemein, ist im übrigen aber in seinen
wesentlichen Zügen eben Mensch.
URSPRUNG DES LANDES
Über die in den vorhergehenden Abschnitten
dargestellten Formen von als weiblich interpretierten Ursprüngen gehen noch die Bilder
hinaus, mit denen der Ursprung landschaftlicher Elemente aus dem Wesen des
Weiblichen gezeigt wird.
Ana/Dana, ohnehin Figur der Urmutter, der
Ahnin, bringt mittels ihres Urins einen See hervor, den Loch Gur. Sie ist damit
auch die Mutter Erde. Von anderen Seen heißt es, sie seien aus dem Urin
göttlicher Stuten entstanden. (Über die Parallelisierung von Frau und Pferd
siehe unten. Dies dürfte eine andere Fassung des gleichen
Bildes von der chthonischen Göttin, der Mutter Erde sein.
Leicht wird das Bild verschoben, wenn der
Blutfluss der Königin Medb (Urbild für Frauenherrschaft und Souveränität)
drei tiefe Kanäle in den Erdboden spült.
FRUCHTBARKEIT
Fruchtbarkeitsassoziationen greifen an
Personen, an Tiere und an das Wasser an. Wegen der inneren Verflechtung von
Assoziationen ist eine lineare Darstellung immer problematisch, muss aber hier
hingenommen werden. Die beteiligten Komponenten Frau, Rausch, Pferd, animalische
Sexualität, Gebären, Königstum und Wasser bilden insgesamt einen nicht zu
trennenden Komplex.
Medb ist die Allegorie von Sinnenrausch und
zugleich von Frauenherrschaft. Sie wird in Menschengestalt dargestellt als
verführerische, lüsterne Frau, die als Königin nacheinander vier Ehegatten
hat, dazwischen aber jeden Mann, den sie haben will. Da sie andererseits in
göttlicher Gestalt die Königsherrschaft verleiht, muss jeder König sich mit
ihr vereinigen. Dies wiederum ist vermischt mit einem Fruchtbarkeitsritus.
Vieles hat sie mit der indischen Madhavi gemeinsam, die nach einer jeden Geburt
wieder Jungfrau war.
Medbs männliches Pendant, der einzige
Partner, der sie befriedigen kann und der in ihr die einzige findet, die ihn
befriedigen kann, ist Fergus, welcher die Stärke von 700 Mann hat und dessen
großes Glied gerühmt wird. Ihm gebiert Medb Drillinge.
Fergus wiederum ist - wie an mindestens einer
Stelle auch Medb - mit Pferden assoziiert. Pferde gelten wie Stiere als Symbol
der Fruchtbarkeit (neben den vielen anderen Funktionen, die sie auch haben). Der
gewählte Hochkönig von Irland zu Tara muss sich mit einem Pferd vermählen,
und damit rücken wieder Souveränität als Mutter-Thema und Pferd und
Fruchtbarkeit zusammen: die tierische Vermählung sollte die Fruchtbarkeit des
Landes sichern, was als eine der wichtigsten Aufgaben des Königs angesehen
wurde. (Dies belegt nebenbei, dass auch das keltische Königstum aus der 'great
provider'-Tradition stammt, wie M. Harris generell für die Staatsentstehung
annimmt.)
Die schwangere Macha besiegt ein Pferd im
Wettlauf - das ist eine Allegorie der animalischen Fruchtbarkeit - und gebiert
anschließend Zwillinge.
Der Befund, dass Muttergöttinnen gern mit
Quellen assoziiert werden - auch Medb wird ja mit seltsamen Handlungen am Wasser
angetroffen - und dort ihren Verehrungsort haben, wird als Symbol für
Fruchtbarkeit und Leben spendende Kraft gesehen. Das beginnt schon bei den
liebenden Vereinigungen am und im Wasser: Dagda hat nicht nur ein
Liebesverhältnis mit Boand, der Frau, die dem Fluß Boyne den Namen gibt, er
vereinigt sich auch mit der Morrigan, immerhin eine archaische Muttergöttin, im
Wasser des Flusses Unias. Conchobar, der als Parallelgestalt zu Fergus gesehen
werden kann (mit Macha ist er durch Pferde assoziiert und wird von Fergus im
Königsamt vertreten) vergewaltigt Medb am Fluß Boyne.
KEUSCHHEITSTEST; JUNGFERNSCHAFT
Unklar ist im Zusammenhang der Mütter und des
Themas Fruchtbarkeit, welche Stellung die Unberührtheit einnimmt. Manches
spricht dafür, dass die Schwäne und vielleicht deren verbindende Ketten ein
Hinweis auf Jungfräulichkeit ist. Zudem gibt es an mehreren Stellen
Anspielungen auf Keuschheitstest. Bei Caradawc und Tegau Evrwron
Goldbrust wird Keuschheit vermittels
eines Trinkhorns ermittelt, welches wiederum Symbol der Fruchtbarkeit ist (vgl.
Füllhorn); bei Arianrod und in Märchen durch Überspringen eines Stocks oder
auch durch einen Mantel. In keinem dieser Fälle ist ersichtlich, auf welche
Weise genau die Keuschheit nachgewiesen wurde.
Nicht ersichtlich ist auch die Bedeutung von
Unberührtheit in der keltischen Kultur. Vielleicht ist sie eine
christlich-mittelalterliche Ersetzung einer anderen, später nicht mehr
verstandenen keltischen Funktion.
DIE NÄHRENDE
Die nährende Mutter tritt nur an einigen
Stellen in Gestalt von besonderen Brüsten in Erscheinung. Im irischen Da Chich
Anann werden zwei Berge mit den beiden Brüsten von Ana gleichgesetzt. Ana, eine
der häufiGsten Mutterfiguren, gilt auch als die Ernährerin der Götter. Drei
Brüste werden sowohl Fuinche wie auch Gwenn Teir Bronn nachgesagt. Und wenn man
Branwen als Bronwen liest, wie in einem Fall überliefert, so ist sie die mit
der weißen Brust, und das kann ja heißen: mit der milchspendenden Brust.
Auffällig ist aber die Bedeutung der Milch an
zahlreichen Stellen.
In vielen Märchen stehlen Hexen Milch. Das
könnte man rein wirtschaftlich verstehen, weil Rinderzucht und Milchwirtschaft
eine bedeutende Rolle spielten. Doch ist bemerkenswert, dass auf einem
Megalithen einer Gruagach Milch geopfert wurde! Der Name Gruagach steht
etymologisch dem für Hexe sehr nahe. Hier scheint ein alter Opferritus durch,
in welchem der Milch eine Rolle als zu opfernder Wirtschaftsertrag zukam.
Milch hat daneben eine Bedeutung als
Heilmittel oder als Mittel gegen Gift. Die Milch aus Conall Cernachs Kopf hat
nährende Eigenschaft, sie hilft den Ultern aus ihrer (Kindbett)Schwäche heraus, welche ihnen der Fluch von Macha eingetragen hat. Das bedeutet: der
Entzug der Fruchtbarkeit ist durch Milch, ein anderes Zeichen von Fruchtbarkeit
wieder aufzuheben.
MUTTERSCHAFT
Mutterschaft spielt eine zentrale Rolle in dem
Zusammenhang, der mit Mabon vab Genoveva unten eigens dargestellt ist.
Daneben finden sich verschiedene Darstellungen
von Jugend, etwa bei Mabon, bei Oengus Mac ind Oc, der Jugend schlechthin ist.
Die Mutter nimmt in diesen Fällen eine besondere Stellung ein: bei Mabon siehe
unten, bei Oengus ist es das verbotene Verhältnis zu Boinda (die ein
fruchtbarer Fluss ist).
Schließlich ist es noch der hüllende Schutz,
welcher als mütterliches Merkmal angesehen werden kann: Oengus bewahrt die
verwandelte Etain in einem Käfig vor der Verfolgung und schützt Grainne
mittels eines Mantels vor Finn. Merlin geht in ein von Viviane gehütetes
Glashaus. (Die Nähe zum Thema Gefangenschaft ist jedoch auffallend.)