Thesen zur Rekonstruktion der keltischen Glaubensvorstellungen 5
Theses on celtic religion   webmaster@gruenverlag.de    Thèses sur la religion des celtes

  Schwierigkeiten der
  Quellenlage

  Begriffliche Vorurteile

  Animistische Schicht

 Märchen und  Legenden als legitime Quellen

Schamanismus und Druidismus

Deistische Schicht

Themen

Anderwelt

  Polarität Tod / Mütter 

  Tod

  Dreifacher Tod

  Abgetrennter Kopf

  Köpfe an Ketten

  Kopf und Wasser

 Weitere Kopfgeschichten

  Wasser

Baum und Tod

  Wiederbelebung

Schema zum Wandel der 
Seinsformen

  Mütter

  Ahnenfigur

  Älteste Wesen

  Ursprung des Landes

  Fruchtbarkeit

 Keuschheitstest; Jungfernschaft

  Die Nährende

  Mutterschaft

Mabon  vab Genoveva

  Neues Leben

  Metempsychose

  Magische  Macht

  Souveränität

  Tod und  Mütter

  Heilfunktion

  Gott der Tiere

  Krankes  Auge

  Kranker  Arm

  Portiergeschichten

  Schweinehirt

  Schuhmacher

Weltvorstellungen

 

  Kontakt

 

 

 

Die Polarität von Dieser Welt und Anderer Welt spiegelt sich in dem Begriffspaar, zu dem sich die meisten der keltischen Vorstellungen fügen lassen: Tod (=Zukunft) auf der einen Seite und Mütter (=Herkunft) auf der anderen.

TOD

Tod war der übliche Eingang der Menschen, eben der normal Sterblichen, in den Teil der Anderwelt, der ihnen vorbehalten war (Annwn, Anaon).

Der Eintritt des Todes ist ebenso vorhersagbar wie dessen Zeitpunkt. Es bestehen also Verbindungen, an Zeichen erkennbare Zusammenhänge zwischen Anaon und der diesseitigen Welt. Vielleicht wurden von Anaon aus die Handlungen der Lebenden bestimmt, jedenfalls wurde dort bestimmt, wer wann zu sterben hatte. Allerdings ist eine Voraussage immer nur in der zeitlichen Nähe des Ereignisses möglich, nicht zu jeder beliebigen Zeit und nicht auf lange Sicht.

Eine Fülle von Merkmalen, auf welche der Kundige, das muss nicht immer der Todgeweihte sein, aufmerksam werden konnte, zeigt das bevorstehende Sterben an. Darunter zählen nicht nur unübliche Ereignisse oder mysteriöse, unverstandene Vorgänge, sondern ganz bestimmte, regelhaft auszulegende Zeichen, welche an Tieren, Pflanzen oder Erscheinungen anknüpfen.

Eine besondere Gruppe von Erscheinungen sind die Wäscherinnen der Nacht. Bei ihnen handelt sich um verstorbene Frauen, die für etwas in ihrem Erdenleben büßen müssen. Die Buße besteht darin, sich beim Waschen sehen zu lassen, wenn sie ein Sterben anzukündigen haben.

Daneben sind aber gewissen Einzelpersonen mit anderweltlichem Wissen ausgesprochene Todesprophezeiungen möglich, ohne dass sie von sichtbaren Zeichen abhängig wären. Diese Personen, zumeist wohl eher Mittelgeister als Menschen, erkennen die Verfügungen, welche die Anderwelt über die Lebenden getroffen hat.

Ein besonders deutlicher Hinweis auf den Tod ist die Begegnung mit dem Wagen, der den Todgeweihten in die Anderwelt holen soll. Ob nun Hirsche oder Schwäne diesen Wagen ziehen oder ob er als vom personifizierten Tod (Knochenmann) gelenkter Karren erscheint - er geht stets auf die Vorstellung des Abfahrens in die Anderwelt zurück und auf die Vorstellung, dass der Verstorbene oder seine Seele ins Totenreich geführt werden muss.

Der Todeszeitpunkt lässt sich mittels bestimmter Riten voraussagen und ist damit vermutlich Druidenangelegenheit.

Die Todesprophezeiung, das heißt die Erkenntnis, dass ein Mensch dem baldigen Tode geweiht ist, muss grundsätzlich unterschieden werden von der Befähigung, die Todesweihung selbst zu verhängen und den Tod wirksam herbeizuführen. Doch kann der Todesbote aus der Anderwelt zugleich auch den Auftrag haben, den Tod zu vollziehen. Dies vermochten nur kundige, beauftragte Personen. (Den Tod herbeiführen — das kann zweifellos auch jeder hergelaufene Mörder ohne anderweltlichen Auftrag. Über die Rolle dieser banalen Vorkommnisse in der keltischen Denkwelt ist gar nichts auszusagen.)

Todesprophezeiungen, die vielleicht Todesweihungen sind, werden geäußert von Frauenwesen (Morrigan oder deren Rabengestalt Bodb, Hexen), mitunter auch von einem Pferd - all diese sind als Mittelgeister anzusehen (vgl. den Todesengel). Wie andere Mittelgeister stammen sie aus der schamanistischen Schicht und verkünden vielleicht keinen normalen Tod, sondern einen Übergang (eine Reise?) in die Anderwelt. Manchmal bewirken die Wäscherinnen der Nacht selbst das Sterben, indem sie den Todgeweihten ertrinken lassen. Ihre Beziehung zum Wasser (siehe dazu unten) ist deutlich. Vielleicht geht dieses Erzählsujet auf eine Gruppe von Frauen zurück, die an Todgeweihten das Ertränken als dritten Teil des dreifachen Todes (siehe unten) vollziehen mussten.

Ob auch Druiden den Tod durch Prophezeiung bewirken konnten, ist fraglich, doch gibt es Anzeichen, dass sie das Sterben herbeibeschwören konnten. Zu einer solchen Beschwörung gehört zum Beispiel ein Ritus mit Salz und Erde. Druidinnen sollen die betreffenden Menschen auch dem Meereswind ausgesetzt haben. Die Herbeiführung des Todes durch vergiftete Waffen ist wohl mehr als nur eine mittelalterliche Rittergeschichte und deutet auf einen Tod durch Magie hin.

Sicherlich Druidenwerk war aber der Tod durch Opferschlachtung. Die Tötung des Opfers wurde in rituell festgelegter Weise vorgenommen. Die zu opfernde Person bestimmte man durch Los mittels eines verbrannten Roggen-Gerste-Brotes, wobei sicher nicht die Vorstellung einer Zufallswahl herrschte, sondern die Annahme, dass im Los die Verfügung der Anderwelt erkennbar wird. Der Todgeweihte wurde betäubt, dann durch die Garotte, fast zeitgleich durch das Öffnen der Halsschlagader und drittens durch Stoßen in eine Wassergrube getötet (Ross). Vielleicht hat man diese Menschen nicht im üblichen Sinne geopfert, sondern auf eine Reise in die Anderwelt geschickt, von woher eine Wiederkehr in besseren Zeiten erwartet wurde.

Im Moment des Sterbens löst sich die Seele vom Körper und muss Gelegenheit haben, das Haus zu verlassen. Sie bedarf nun eines Führers, welcher ihr aus der Anderwelt gestellt wird. Dieser Psychopompos ist zum Beispiel als Hund sichtbar, welcher anscheinend die Seele verschlingt. Der personifizierte Tod (Knochenmann) ist nichts als der Bote des Anaon und somit Abbild des Psychopompos. Es ist ein zuvor (als letzter) Gestorbener, der nun den Sterbenden holen muss. Der Totenführer (und er darf nicht verwechselt werden mit dem Tier, dem Hirsch etwa, das den Lebenden in die Anderwelt lockt) muss die Seele mitunter über diverse Stationen zu ihrem endgültigen Aufenthalt führen. Offensichtlich wurde der Verstorbene dabei vom Psychopompos auf den Rücken genommen und an seinen Bestimmungsort getragen.

DREIFACHER TOD

Mehrfach wird das Sterben als wiederholter Vorgang dargestellt:

  • Muirchertaig wird 1. in Wein ertränkt, 2. verbrannt.
  • Diarmaid wird vom Speer durchbohrt, ist aber wohl nicht tot; denn er wird  
    1. verbrannt, ertrinkt 2. in einem Fass und wird 3. erschlagen.
  • Verbrennen, Ertrinken, Hängen ist die Reihenfolge in einer anderen Überlieferung.
  • Lailoken, eine nordbritische Merlinfigur, wird nach seiner eigenen Voraussage 1. erschlagen, 2. ertrinken und 3. aufgespießt werden.
  • Conmor tötet mehrere Frauen auf verschiedene Weise. Hinweise auf den dreifachen Tod liefern die Todesarten 1. Hängen, 2. Gift, 3. Erschlagen.
  • In einem irischen Märchen bestimmt eine astrologische Voraussage Todesfälle durch 1. Verbrennen, 2. Ertränken und 3. Hängen.
  • Der archäologische Befund besteht in einer Moorleiche (ca 60 n. Chr. in Britannien), welche Anzeichen des Todes durch 1. Erwürgen (Garotte), 2. Ausbluten und 3. Ertränken aufweist, all dies in Verbindung mit Umständen, die an ein Ritual denken lassen (s. Ross).

Der dreifache Tod ist ein von Druiden angeordnetes und durchgeführtes Opferritual. Sinn des Opfers war möglicherweise der Aufbruch zu einer Reise in die Anderwelt, eine Reise, von der eine bestimmte Wirkung erwartet wurde oder die den Zweck hatte, bedrohte Geheimnisse oder das gesamte bedrohte Druidenwissen zu retten, bis eine Wiederkehr in diese Welt möglich war (und damit die Herbeiführung besserer Zeiten). Nach Ross stehen für die Dreizahl die Weihungen dreier verschiedener Götterfiguren. Die Todesarten sind aber variabel, wobei Garotte (als Erwürgen dem Hängen gleich), ertränken und Verbrennen (an Beltain?) die üblichen Verfahren waren. Das Erschlagen diente lediglich dazu, die Opfer zu betäuben.

Eine andere Art von Menschenopfer (wohl nicht dreifach) sah vor, die Betroffenen im Baum aufzuhängen und den Vögeln zum Fraß zu überlassen. Raubvögel, eher noch Rabenvögel, könnten eigens zu diesem Zweck gehalten worden sein.

ABGETRENNTER KOPF

Der Kopf ist der Sitz des Lebens (nicht unbedingt identisch mit der Seele, welche ja, zumindest, wenn sie den Leib verlassen hat, als Vogel oder ähnlich dargestellt wird) und kann als Allegorie für das Leben gesehen werden. Dementsprechend ist das Abtrennen des Kopfes ein sicheres Zeichen des Todes. Ein Leib ohne Kopf, ein Leib, der getrennt von seinem Kopf begraben wird, kann nicht wieder belebt werden. Umherirrende kopflose Leiber (unseren späteren Gespenster) suchen den verlorenen Kopf. Deshalb auch wird von besiegten Feinden der Kopf abgetrennt und eigens auf Pfählen oder in Beinhäusern aufbewahrt, um eine Wiederbelebung zu verhindern.  Denn der abgetrennte Kopf trägt noch Leben.

Dass Bran befiehlt, seinen Kopf abzutrennen, damit er sterben kann, wo doch wegen des aufsteigenden Giftes sein Ende ohnehin bevorstand, bedeutet, dass dies die einzige Möglichkeit war, den Kopf nicht mit dem Körper sterben zu lassen, vom Sterben des Körpers auszunehmen. Die Seele geht in die Anderwelt, der Kopf kann auf Erden bleiben.

Es kann also zu einer Wiederbelebung kommen, wenn der Kopf wieder mit seinem Leib zusammengefügt wird. So ist es bei Triphyna: Ihr wird der abgeschlagene Kopf durch einen Heiligen (ursprünglich also einen Druiden) wieder aufgesetzt. Ähnlich bei Gwenfrewi, die vom hl.  Breuno nach einer königlichen Vergewaltigung wieder ins Leben geholt wird. In anderen Fällen sucht der Kopf selbst nach seinem Leib und vereint sich mit ihm. CuRoi lässt sich im spielerischen Wettbewerb mit Cuchullain den Kopf abschlagen und bringt sich selbst wieder ins Leben zurück.

Weil der abgetrennte Kopf noch Leben enthält, ist es sinnvoll oder notwendig, ihn zu erhalten, sei es in einer Schädelkammer, sei es in Gesellschaft der Lebenden, unter denen er als Ersatz für den Verstorbenen dienen kann. Dort kann es dann dahin kommen, dass der Kopf weiterhin spricht und sich beteiligt. So verlangte Finns abgetrennter Kopf seinen Anteil an den Speisen, Brans abgetrennter Kopf begleitete seine Gefährten mit Gesang und Gespräch usw. Auch Conaire Mors Kopf sprach nach dem Tode, sobald man ihm die Kehle mit Wasser benetzt hatte. Sualdans Kopf ließ sich auch durch einen Unfall, in dessen Verlauf er vom Rumpf gerissen worden war, nicht daran hindern, weiterhin Warnungen auszusprechen. Der Geschichtenerzähler Donn Bó verspricht, am folgenden Abend eine Geschichte zu erzählen. Bevor es dazu kommt, wird ihm aber der Kopf abgetrennt. Dennoch hält der abgetrennte Kopf das Versprechen. Lomnas Kopf spricht Verse und beschwört Finn herbei; Mesgregas Kopf spricht zwar nicht, gibt aber andere Zeichen von Leben: Er wird bei wechselnden Gefühlen rot und bleich. In Schädelkammern kann man an Samain manche Köpfe sprechen hören. Stellvertretend für den verstorbenen Conall nahm die Milch aus seinem Kopf (=der beschwörende Redefluß?) den Ultern die Kindbettschwäche.

Die Prähistoriker wissen, dass spätestens seit dem Mesolithikum Leichen getrennt von ihren Köpfen bestattet wurden.

KÖPFE AN KETTEN, SPRINGEND

Ganz rätselhaft sind aber noch die Darstellungen, wo mehrere, meist kleinere, abgetrennte Köpfe durch Ketten mit einem größeren Kopf verbunden sind. Bekannt sind eine Halskette mit sieben anhängenden Bernsteinköpfen , einige Münzenbilder sowie der Fund in der Coventina-Quelle: Eine der Göttin Coventina gewidmete Quelle enthielt mehrere kleine Bronzeköpfe und einen männlichen Schädel. Die Köpfe repräsentieren das Leben von Verstorbenen und vielleicht diese selbst. Die Ketten, die zum Mund des größeren Kopfes führen, sind vielleicht Reden (vgl. die Milch von Conalls Kopf). Einen Hintergrund zu diesen Funden liefert vielleicht die ausführliche Beschreibung des Gottes Ogmios: Auf einem (einzigen?) Bild erscheint er als gallischer Herkules mit Löwenhaut, Keule und Bogen, aber zugleich als alter Mann, kahlköpfig und grau, mit runzeliger, schwarzverbrannter Haut. An dünnen, aus Gold und Bernstein gearbeiteten Ketten zieht er eine große Menge Menschen an ihren Ohren gefesselt hinter sich her.  Die Kette läuft durch seine durchbohrte Zungenspitze. Die Menschen folgen ihrem Führer strahlend und freudig .  Lächelnd wendet er sich nach ihnen um. Ähnliches findet sich in einer Darstellung der "Tain": MacRoth sieht unter den Heerscharen, die auf der Ebene von Meath im Anzug sind, einen Haufen, der geführt wird von einem schwarzen und schnellen dunklen Mann mit sieben Ketten um seinen Hals, sieben Mann am Ende jeder Kette. Er schleift diese siebenmalsieben so, dass ihre Münder gegen den Boden schlagen. Daraufhin machen sie ihm Vorwürfe und er hört damit auf.

Eine weitergehende Deutung ist nicht in Sicht, auch nicht im Sinnen einer Allegorie von Leben. Nach M. Harris verweisen um den Hals gehängte Kopfketten auf rituellen Kannibalismus; diese Deutung mag zutreffen, doch ist sie zu wenig spezifisch, um den speziellen keltischen Glauben zu erhellen. Vielleicht gehört hierher die Geschichte von den zwei Köpfen, die aus der Anderwelt kommen, um einem König etwas zu hinterlassen oder mitzuteilen.

Diesen Schilderungen und Darstellungen schließen sich die springenden, hüpfenden oder aufschlagenden Köpfen an, etwa: Suibhne wird von fünf grauen Köpfen verfolgt, die aneinander krachen, während sie über Straße hüpfen. Vielleicht sind es abgetrennte Köpfe, die zu ihren Leibern wollen.

KOPF UND WASSER

Einige Geschichten berichten von einem besonderen Verhältnis zwischen Kopf und Wasser.

Das Wasser wirkt regenerierend oder wiederbelebend auf einen Kopf oder auch auf ein kopfloses Wesen. Denn wenn man den Kopf abschlägt, das Blut aus der Halsschlagader in eine Grube rinnen lässt und den Kopf ins Meer wirft, dann taucht er von dort wieder sprechend oder lebend auf, so, als wäre das Blut in seinem Kopf durch Wasser ersetzt. (Die offenbare Sinnlosigkeit des Vorgehens, durch ein umständliches Verfahren einem Kopf, den man gerade erst abgeschlagen hat, wieder Leben zu verschaffen, zeigt, dass der ursprüngliche Ritus anders und von einem anderen Sinn gewesen sein muss als diese Überlieferung). Vermutlich hat das Ertränken als dritter Teil des dreifachen Sterbens (=ins Meer werfen) die Funktion, das Leben des Kopfes zu erhalten.

Der Kopf eines soeben Verstorbenen, eines Gehängten oder eines Sterbenden oder durch Entstellung der Überlieferung auch des Mörders wird heftig von Durst geplagt und muss solange nach Wasser suchen oder suchen lassen, bis er es bekommt. Erst dann kann er endgültig sterben oder wird wiederbelebt.

Die Köpfe von Ermordeten werden in eine Quelle gegeben, von wo sie - mitunter erst nach längerer Zeit - auftauchen und ihren Mörder verraten und rächen lassen.

In all diesen Fällen - Hinrichtung, Hängen Mord - haben die Köpfe das Leben nicht bewahrt und müssen es durch die Aufnahme von Wasser wieder erlangen.

Die Köpfe mancher besonderer Menschen (später wurden sie zu Heiligen umgedeutet) sind jedoch in der Lage, selbst neues Leben zu spenden. Werden sie vergraben, so entspringt an dieser Stelle eine Quelle. Die heilende Quelle von Alesia entstand, als im dritten Jahrhundert ein Heiliger gemartert wurde; als sein Kopf zu Boden fiel, sprang die heilende Quelle auf. Ähnlich St. Ludd, St. Winifred in Devonshire oder St. Milburga in Devonshire.

WEITERE KOPFGESCHICHTEN

Köpfe mit üblen Absichten bewegen sich hüpfend fort, wobei sie aneinander krachen. Diese Köpfe suchen ihre Leiber oder sind auf dem Weg in die Anderwelt; vielleicht werden sie dort wegen ihrer üblen Taten nicht zugelassen.

Bei der rituellen Opfertötung kommt dem Kopf eine hervorragende Rolle zu: sowohl Garotte, Erwürgen, Hängen wie auch das Öffnen der Halsschlagader zeigen das. Der Kopf konnte nicht mehr auf der Erde weiterleben, das Blut, der Sitz des Lebens, wurde ausgelassen, eventuell gegen Wasser getauscht.

Bekannt ist auch eine Form des Opfers, bei welcher dem Kopfe gehuldigt wurde. Man kämmte, wusch und bekleidete ihn; vor ihm kochte man dann Schweine und stellte sie auf. Vielleicht ist dies ein Zauber, der Erfolg bei der Kopfjagd bewirken soll, wie es ähnlich von Neuguinea berichtet wird.

Die Erscheinung eines Kopfes wird auch als Zeichen dafür gesehen, dass soeben bei einem nahestehenden Menschen der Tod eintritt.

WASSER

Wasser ist typisch für die Ambivalenz keltischer Begriffe, indem es einerseits für den Tod steht, also den Entzug von Lebenskraft, zum anderen für die Belebung. Hier soll zuerst seine Bedeutung im Komplex "Tod" gesehen werden.

Wasser, verkörpert durch Quellen, Brunnen, Flüsse, Seen und auch durch das Meer ist einer der Zugänge zur Anderwelt. (Dass das Meer nicht im Zentrum keltischer Vorstellungen zu finden ist, kann als Nachweis dafür genommen werden, dass sie nicht in den vergleichsweise spät keltisch gewordenen Randgebieten Europas entstanden, sondern in Mitteleuropa). Bereits in der Bronzezeit verwendete man Brunnenschächte als rituelle Lager für Wertgegenstände. Tote schwimmen in Teichen, bevor sie in die Anderwelt eingehen. Tom der Reimer musste durch einen Fluss die Anderwelt betreten. Leichname von jungen Leuten verschwinden im See. Ein Kind, ein Junge, der aus bestimmten Gründen nicht gewünscht wird, zumeist weil er auf unrechte Weise ins Leben kam (vielleicht haben wir hier aber auch eine Reminiszenz an Infantizid-Gebräuche) wird auf dem Weg über einen See oder das Meer wieder hinaus befördert. So verfuhren

  • Dana mit Geroid und
  • Arianrod mit Dylan;
  • Conair Mors Sohn, den Diancecht unter dem Arm trug, gleitet darunter heraus und ins Wasser;
  • Ruodh hat einen Sohn mit einer Frau unter Wasser, welcher stirbt;
  • ein Junge wird aus dem Meer gefischt und verschwindet wieder darin.

In all diesen Fällen wird der Junge nicht ertränkt, sondern an die Anderwelt zurück erstattet.

Der Weg durch das Wasser in das Reich des Todes wiederum ist nicht zu trennen von der Vorstellung, dass die Seelen nach dem Sterben eine Reinigung durchmachen müssen (und das ist wieder nicht zu trennen von den Durst-Geschichten, s.o.). Zu diesem Zweck muss für den Sterbefall sauberes Wasser bereitstehen und das Gesicht des Verstorbenen wird mit Wasser benetzt (s. aber auch bei KOPF).

Zum See als der Pforte in die Anderwelt führt auch eine besondere Gestalt, welche anders als die Totenführer einen noch Lebenden mit Gewalt holen will. In Pferdegestalt, als Kelpie oder unter einem Namen, der an Meermädchen erinnert: Mourouach, erscheinen sie und ziehen Menschen unter die Wasseroberfläche, entziehen ihnen also die Lebenskraft. Weitere Gestalten aus der Anderwelt bevölkern deren Zugang in den Seen. Zumeist sind es Frauengestalten, welche als Mittelgeister anzusehen sind: Llyn y fan fach, Keridwen, Morgan, eine Gruppe von neun Frauen, Llasar und seine Frau. Auch Kühe haben diese Rolle inne, und auch als Schlangen können sie erscheinen.

Ob die Geschichten von der versunkenen Stadt, unter denen Ker Is nur die bekannteste ist, auch in diesem Zusammenhang zu sehen sind, ob sie überhaupt als spezifisch keltisches Thema anzusehen sind - immerhin sind mindestens 11 Überlieferungen aus der Bretagne, aus Wales, Schottland, Irland und England bekannt - das ist nicht zu sagen. Ein Wesen mit anderweltlichen, genauer: Mittelgeist-Zügen verursacht absichtsvoll oder aus Unachtsamkeit eine Überflutung, welche ein begrenztes Gebiet oder eine Stadt betrifft. Die Bewohner sind nicht ertrunken, sondern leben im Wasser, das heißt in der Anderwelt weiter. Die ganze Untergangsmythik ist vielleicht eher als ein kollektiver Aufbruch in eine Anderwelt-Reise zu deuten.

Weil das Wasser an der Grenze von Leben und Anderwelt steht, kommt ihm auch Bedeutung für die Voraussage des Todeszeitpunkts zu. Träume von Wasser künden den Tod an (wie anders die Freudsche Deutung!), die Anordnung von Zweigen, Klee oder Kleidung auf dem Wasser leistet das gleiche. Auch hier wieder die Ambivalenz der keltischen Interpretation: Quellen dienen als Orakel für den positiven oder auch den negativen Ausgang tödlicher Krankheiten.

BAUM UND TOD

Ähnlich dem Wasser nimmt auch der Baum eine ambivalente Stellung zwischen dem Leben und dem Tod, der Diesseitswelt und der Anderwelt ein. Freilich ist der belebende Aspekt klarer als der Todesaspekt.

Im Baumwipfel erscheinen Köpfe von verstorbenen Liebenden, wie Baile und Aillinn, erscheinen Köpfe von Göttergestalten wie Erriapus oder Esus. Oder es hängt einer im Baumwipfel, wie abermals Esus.

Oder jemand steigt in den Baum, um von dort, nachdem er eine Begegnung mit einem Adler oder einem anderen Vogel hatte, wieder herabzukommen. Von Lleu Law Gyffes, der entweder als Lug-Gestalt oder als Mittelgeist anzusehen ist, wird dies berichtet. Im Baumwipfel sitzen ganze Jenseitsgestalten, wie Suibhne, eine irische Merlinfigur und Mittelgeist, oder der Rote von Finn, der gleichfalls als Mittelgeist zu verstehen ist:
Finn begegnet einem Mann in einem Baum, es ist der Rote im Wipfel Sohn des Leuchtenden, er kann springen, hat eine Amsel auf der Schulter, einen Kessel mit einem Lachs im Arm und einen Hirsch am Fuße des Baumes, er knackt Nüsse, die Hälfte der Nuss gibt er jeweils der Amsel, nimmt einen Apfel aus dem Kessel, gibt die Hälfte dem Hirsch, und alle trinken aus dem Kessel, Finns Begleiter sehen ihn nicht, weil er eine Tarnkappe (Kapuze) trägt. Sowohl der Lachs wie auch die (Hasel-)Nuss sind Zeichen des Wissens, der Kessel ist die Quelle der Anderwelt, Amsel, Apfel und Hirsch stellen ebenfalls Verbindungen zur Anderwelt her.
In der Gestalt des Roten im Wipfel haben wir ein umfassendes Bild des Baum-geborenen Schamanen, der über magisches (anderweltliches) Wissen verfügt und im Verkehr mit der Anderwelt steht.

Es entrollt sich insgesamt das aus dem eurasiatischen Schamanismus bekannte Bild von der Lebensphase, die im Baum zugebracht werden muss, von wo der fertige Schamane nach einer Art Neugeburt herabsteigt. Der Weg in den Baum ist also nicht ein Weg in den Tod, sondern eher eine Reise in die Anderwelt, von welcher man gewiss wiederkehrt, aber gewandelt oder mit einer Weihung versehen. Hier setzt der weiter unten besprochene Wiederbelebungsglaube ein.

Deutlicher wird die Beziehung zum Tode bei der rituellen Tötung, zu der sich die mit dem Begriff Baum zusammen überlieferten Stichworte Axt, Blut und Hängen leicht fügen. Die Vögel sind dann, wie schon oben ("Dreifacher Tod") gezeigt, Raubvögel, welche den Aufgehängten fressen. Oder sie sind Seelenvögel. Rituelle Tötung wieder verweist auf die Reise, auf die jemand geschickt wird.

Baum wie Wasser sind offene Übergangsstellen zwischen Dieserwelt und Anderwelt, und man muss das Sterben überhaupt noch viel mehr als einen solchen Übergang betrachten und weniger als einen Abgang, wie wir es gewohnt sind. Der Baum als Todeszeichen wird somit erkennbar in seiner Funktion als Hinweis auf ein offen stehendes Tor in die Anderwelt. Weiterhin wird verständlich der Baum als Todesgestalt - aber das gehört bereits in den Komplex der Wiederbelebungsgeschichten.

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