Thesen zur Rekonstruktion der keltischen Glaubensvorstellungen 6
Theses on celtic religion   webmaster@gruenverlag.de    Thèses sur la religion des celtes

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 Märchen und  Legenden als legitime Quellen

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Deistische Schicht

Themen

Anderwelt

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Mabon  vab Genoveva

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WIEDERBELEBUNG

Wenn Tod und Sterben nichts als ein Übergang sind, dann sollte es auch einen Übergang in die andere Richtung geben, von der Anderwelt in die Diesseitswelt. Die Eingänge in die Anderwelt könnten auch deren Ausgänge sein.

Einen solchen Übergang gibt es allerdings nicht als Selbstverständlichkeit, sondern nur unter bestimmten Bedingungen. Anders gesagt: Dem Weg aus der Anderwelt fehlt die Natürlichkeit, die der Weg in das Jenseits für uns hat.

DianCecht kann eine Quelle nicht allein zu Heilzwecken verwenden, sondern bringt mit ihrer Hilfe auch die Krieger der Zweiten Schlacht von Moytura wieder ins Leben zurück. Über Wiederbelebung durch Wasser in Verbindung mit dem Kopf ist oben berichtet worden; zumeist ist die Wiederbelebung jedoch begrenzt und vorübergehend.

Der Kessel ist gleichfalls ein Weg in die Anderwelt, der auch als Rückweg dienen kann. Brans Kessel, aus dem die gefallenen Krieger lebend, wenn auch ohne Sprache wieder hervorgehen; Dagdas aus Murias stammender, wie Brans also von Britannien nach Irland verbrachter) Kessel ist nicht nur eine Art Füllhorn, sondern belebt auch Tote; Brannoc (mit Anklängen an Bran) kann eine Kuh durch Kochen im Kessel wieder beleben. Ein versehentlich in einem Kessel gekochter Junge wird wieder ins Leben gebracht - unübersehbar die Parallele zu Tantalus' Sohn Pelops.

Das bei rituellen Tötungen oder anderen Gelegenheiten in Kesseln gesammelte Blut hatte wohl die Aufgabe, das ausrinnende Leben aufzubewahren und wiederzugeben. Das ist auch eine Deutung für den Gral (Sang Réal), die zugleich den christlichen Aspekt des Saint Gral beträfe. Im Saint Gral nämlich sollte das von Joseph von Arimathäa aufgefangene Blut des sterbenden Jesus bewahrt sein - auch hier ist die Parallele der Auferstehungsmythen unübersehbar und auch die Leichtigkeit, mit welcher man keltische und christliche Inhalte zum Verschmelzen zu bringen vermochte.

Blut als Pforte zur Anderwelt ist auch ohne den Kessel ein Mittel der Wiederbelebung. Wird der Tote oder der abgetrennte Kopf mit seinem eigenen Blut bestrichen, so kehrt er ins Leben zurück. Aber auch dieser Vorgang scheint auf besondere Fälle eines unverschuldeten oder verdienstvollen Lebens begrenzt zu sein. Gleiches dürfte für die Art von Wiederbelebung gelten, die herbeigeführt wird, indem Kopf und Leib aneinander gesetzt werden (siehe etwa oben den Verweis auf Triphyna oder Gwenfrewy). Th. Manns Erzählung von den vertauschten Köpfen enthüllt die indoeuropäische Wurzel dieses Themas.

Eine eigene Form von Wiederbelebung findet sich im Umkreis von Bäumen: Aillinn und Baile wachsen als Eibe und Apfelbaum aus dem gemeinsamen Grab heraus; Wurzeln von Friedhofs-Eiben (oder vielleicht vom sogenannte Lebensbaum?) wachsen in die Münder von Toten hinein; aus diesen wachsen Lilien heraus; aus Loch Gur, in welchem alle sieben Jahre Menschen ertränkt werden, wachsen ebenfalls alle sieben Jahre Bäumen heraus; auf Miachs Grab, in das er kam, weil er wegen unerwünschter Ausübung der Heilkunst von seinem Vater DianCecht erschlagen wurde, wachsen 365 Heilpflanzen. In all diesen Fällen bringt die Wiederbelebung einen Gestaltwandel mit sich, also einen Wechsel der Identität.

Obskur ist die Rolle des Schweines bei der Wiederbelebung. Eine Frau, welche sich Sau nennt, vermag ihre Söhne ins Leben zurückzuholen. Auch Brannoc (s. oben) ist mit Schweinen assoziiert.

Dagdas Keule, mit welcher er Krieger erschlägt, kann auch wieder ins Leben zurückrufen - dies ist die höchste Verdichtung der Polarität von Tod und Wiederbelebung, ist allerdings nur ein Einzelfall, ein Sonderfall und eben an Dagda, eine der größeren Göttergestalten, gebunden. Diese Polarität von Tod und Leben in Dagdas Keule lässt sich nach heutigen Vorstellungen mit dem Wort Energie kennzeichnen. Blitz und Lebenskraft mögen die archaischen Symbole gewesen sein.

Wiederbelebung unterscheidet sich von Belebung (durch Geburt) dadurch, dass nicht alle daran teilhaben. Es liegen stets besondere Umstände vor, sei es, dass gefallene Krieger wieder benötigt werden, sei es, dass eine Untat wieder behoben werden soll, also ein Todesfall nicht hingenommen werden soll. Wiederbelebung ist Ergebnis von Wunschdenken. Wiederbelebung hat außerdem das Charakteristikum, dass ein vorheriger Zustand nicht völlig wieder erreicht wird, sei es, dass die Krieger stumm sind, sei es, dass allein der Kopf wiederbelebt wird oder lediglich sprechfähig wird, sei es dass die Menschen als Blumen oder Bäume wiederkehren.

Wiederbelebung ist andererseits oder konsequenterweise zu unterscheiden von Wiederkehr der toten Seelen, die eben in ihrem Zustand des Verstorbenseins verharren und nicht das für lebende Menschen typische Aussehen annehmen. Und außerdem ist Wiederbelebung auch zu unterscheiden von Wiedergeburt.

Leben als Kehrseite des Todes oder eine besondere Dialektik von Tod und Leben ist bei agrarisch bestimmten Gesellschaften zu erwarten. Denn wo der Winter als notwendige Vorstufe des Frühlings und des Wiederauflebens erkannt wird, wo die Nacht als notwendige Regenerationsphase des Tageslichts angesehen wird, da hätte man derartige Vorstellungen auch auf das Sterben der Menschen übertragen können. Doch scheint das nicht in regelhafter Form geschehen zu sein. Es war folglich nicht selbstverständlich, den Menschen in die Naturvorgänge einzuordnen.

 

Schema zum WANDEL DER SEINSFORMEN

I. Wiederkehr nach dem Tode

II. Wandel ohne vorausgegangenes Sterben

I.1. Erscheinung als Toter, Revenant oder ähnliche Bezeichnung. Verstorbener bleibt verstorben und kommt nur zu bestimmten Zwecken und zumeist begrenzt wieder.

I.2. Verstorbener kommt als Lebender wieder

II.1. Gestaltwandel, shape shifting

Zumeist in regelhafter, zeitlich begrenzter und der Gestalt nach nicht beliebiger Weise. Die Seele bezieht vorübergehend einen anderen Leib.

II.2. Metempsychose

Der Gestaltwandel beendet das bisherige Leben und lässt es  in ein neues übergehen, aber ohne Tod als Zwischenstation, oft jedoch mit neuer Geburt einhergehend. Die Seele bezieht definitiv einen neuen Leib.

I.2.1. Wiederbelebung


Verstorbener wird in seine frühere Existenz wieder eingesetzt, Sterben wird rückgängig gemacht.

I.2.2. Wiedergeburt

Verstorbener wird als seine frühere Existenz neu geboren.

1.2.3. Reinkarnation, Seelenwanderung

Verstorbener wird als ein anderer neu geboren - das setzt in der Theorie die Trennung von Seele und Leib voraus. Die unsterbliche Seele gelangt in einen anderen Leib.

Anmerkung: Wiederkehr als Toter (I.1.) und Wiederkehr als Lebender (I.2.1) sind im Umkreis des keltischen (druidischen) Denkens nichts Ungewöhnliches und oben bereits abgehandelt.

Anmerkung: Für Wiedergeburt (I.2.2.) ist kein keltisches Beispiel bekannt, ebenso nicht für Reinkarnation (I.2.3).

Anmerkung: Die Formen II.1 und II.2 des Gestaltwandels sind scharf von denen unter I zu trennen, viel schärfer, als das bisher gesehen wurde, weil sie gar nichts mit dem Tod zu tun haben und somit nicht diesem großen Komplex des keltischen Denkens zuzuordnen sind. Da sie wohl aber mitunter etwas mit Geburt zu tun haben, in jedem Fall aber mit neuem Leben oder neuer Lebensform, sind sie viel eher dem Pol "Mütter" einzugliedern. (Möglicherweise wird einmal auch II.1 radikaler von II.2 zu trennen sein, doch ist das derzeit noch nicht zu sehen). Man lässt sich durch die Erfahrung 'neues Leben' verleiten, hier eher die Erscheinung I.2.3. zu sehen. Aber die Einsicht (Gyonvarc'h),  dass in vielen Fällen Tod als notwendige Voraussetzung einer Reinkarnation gar nicht gegeben ist - diese Einsicht muss konsequent umgesetzt werden.

 

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